Was ist Bewusstsein? Wer ist bewusst?
Als Anna nach vielen Jahren der Einsamkeit und Beziehungslosigkeit eine Therapie bei mir begann, war ihr nicht klar, weshalb ein schmerzhaftes Gefühl des Alleinseins sie innseits ausfüllte.
Weshalb sie sich nicht auf einen Partner einlassen konnte und außer einigen One-Night-Stands keine näheren Bekanntschaften gemacht hatte: „Nähe, so viel weiß ich, ist nicht mein Ding. Es ist einfach zu nah“, erzählte sie mir in der ersten Sitzung.
Es sollten weitere 8 Sitzungen folgen, bis sie formulieren konnte: „Nähe macht mir Angst!“ Und weitere 10 Sitzungen der Bewusstseinsarbeit benötigen, um verstehen zu können: „Meine Eltern hatten so ein schwieriges, emotional dichtes Verhältnis zueinander und zu mir, dass alles immer von einer überbordenden Nähe überlagert war: Nichts konnte ich tun, um nicht sofort im energetischen Raum meiner Mutter und meines Vaters zu sein und somit nie allein, nie für mich! Mich gab es überhaupt nicht!“
Die Liebe und die Nähe der Eltern hatten Anna erdrückt. Nun erinnerte sie sich auch daran, dass sie noch heute Schweißausbrüche bekam, sobald das Telefon klingelte und sich ihre Mutter meldete, um wissen zu wollen, wie es ihr geht und was sie macht. „Eigentlich 5-mal die Woche!“ Annas Bewusstseinsarbeit bestand darin, ihre Gefühle mit ihren Erfahrungen zu verknüpfen und die Handlungen im Alltag an ihre Biografie anzubinden. So war ihr bisher weder bewusst gewesen, dass der Schweißausbruch mit den fast täglichen Telefonaten der Eltern zusammenhing noch was er zu bedeuten hatte: nämlich Angst; Angst vor dieser Nähe und quasi sofort eintretenden Enge.
Bewusstsein – Sie können etwas täglich mehrfach tun und doch nicht wissen, weshalb. In diesem Fall fehlt Ihnen das Bewusstsein. Erst, nachdem Sie Ihre Aufmerksamkeit auf diese Handlung lenken, indem Sie hinschauen, Verbindungen knüpfen, Erfahrungen in den Zusammenhang des Jetzt und Gestern setzen, fällt Ihnen etwas auf. In diesem konkreten Moment werden Sie bewusst.
In Annas Fall bedeutete dies ein Ahaerlebnis: „Jetzt weiß ich, wann ich Schweißausbrüche bekomme, weshalb und wie ich sie beeinflussen kann!“ Der nächste Schritt in der Bewusstwerdung versetzt Sie gewissermaßen in die Handlungsperspektive. Denn, wenn Sie gesehen und verstanden haben, wenn Sie Ihren Zustand in der Gegenwart an die Ursachen aus Ihrer Vergangenheit gekoppelt haben, sind Sie in der Lage, nach Lösungen zu suchen, auf dass es Ihnen in Ihrer Realität besser geht.
Nach etwa 6 Monaten therapeutischer Entdeckungsreise war Anna in der Lage, sich dazu zu entscheiden, mit den Eltern nur einmal wöchentlich zu telefonieren. Es beinhaltete ihre innere Klarheit, die Eltern darüber zu informieren, dass sie als 30-jährige Frau keine täglichen Gespräche mehr benötigte, und lieber ab und zu freiwillig über sich und ihr Leben berichten wolle.
Im Laufe der Zeit konnte sie sich auf Beziehungen einlassen, denn ihr wurde die Möglichkeit der Wahl bewusst: „Ich wähle! Ich entscheide wann, wie oft und mit wem!“ Dieser Moment war für Anna emotional existentiell: Das Bewusstsein, dass sie als Individuum die Freiheit der Wahl innehält! Um in dieses Bewusstsein zu gelangen, benötigte es die Bewusstseinsarbeit, diese prozesshafte Zeit der Auseinandersetzung mit sich, ihrer Biografie, mit ihren Gefühlen und den daraus entstehenden Handlungen und Vermeidungsstrategien, den Blockaden.
Dass das Gestern einen fundamentalen Einfluss auf Ihr Heute hat, ist Bewusstseinsarbeit, und zwar tiefenpsychologische. Indem Sie lernen, Ihre Geschichte nachzuerzählen, werden Sie sich der Wiederholungen, die Sie im Alltag unbewusst abspulen, bewusst – Sie machen sich etwas bewusst. In diesem speziellen Sinn geht es um tiefe Erkenntnisse, um Einsicht in Ihr Seelenleben. Dies ist der Kern der Tiefenpsychologie.
Das Bewusstsein und das Unterbewusstsein
Da ich selbst von der Tiefenpsychologie komme, diese in Frankfurt/M. und Paris studiert, mich selbst dank ihr kennengelernt und mein Bewusstsein geschult habe, ist es die Tiefenpsychologie, auch Psychoanalyse genannt, die ich Ihnen als eine Art der Bewusstseinsarbeit kurz vorstelle. Wir unterscheiden hier zwischen Bewusstsein und dem Unterbewusstsein. C.G. Jung benutzte einst folgende Metapher, um sich beide Zustände vorstellen zu können:
Sie sehen eine Wiese. Sie liegt im Dunkeln. Sie lenken einen Lichtstrahl, einen Spot wie im Theater auf diese Szene, sodass sich ein Ausschnitt der Wiese erhellt, nämlich genau der, den Sie beleuchtet haben. Dieser beleuchtete Teil ist Ihr Bewusstsein; der unbeleuchtete, d.h. die ganze große Wiese, die noch immer im Schatten liegt, ist Ihr Unterbewusstsein.
Dieses Bild verdeutlicht auch recht gut das Verhältnis des bewussten und unbewussten Teils Ihres mentalen und seelischen Raumes: Solange der Mensch keine Bewusstseinsarbeit für sich unternimmt, ist die Wiese gleichsam unbelichtet. Nach und nach machen wir in diesem Raum das Licht an und werden uns unserem Selbst und unserer Entwicklung bewusst: „Ich erkenne das Unterbewusste und hole es in mein Bewusstsein herauf, auf dass ich ein selbstbestimmter Mensch werde, der seiner eigenen Bestimmung folgt, seine eigenen Wünsche erkennt, sie wahrnimmt und umsetzt.“
Solange wir unbewusst leben, sind wir eben nicht bewusst im Sinn: Wir leben das Leben anderer, unserer Eltern, Vorfahren, unserer Tradition und Kultur, ohne diese anderen Existenzformen jedoch mit uns in Verbindung zu bringen und uns zu fragen: „Will ich das eigentlich? Ist dieses Leben der Anderen mein Leben?“
In dem Moment, in dem Sie sich als Individuum, als Einzelner und als Teil des Ganzen fragen, wie und was Sie (er)leben möchten, werden Sie zu einem bewussten Subjekt und entwickeln eine bewusste Haltung zu Ihrer eigenen Existenz, zu Ihrer Rolle in der Gesellschaft, zu Ihren Vorstellungen und Wünschen. Dieses stetig anwachsende Wissen ist Teil der Bewusstseinsarbeit, die Sie selbst-bewusster macht und Sie dadurch als handelnden Akteur sowie in der Rolle, die Sie in der heutigen Welt einnehmen wollen, stärkt.
Das Bewusstsein zu sich selbst und zur Welt
Wenn wir Bewusstsein und Unterbewusstsein voneinander trennen, handelt es sich um eine psychologische Betrachtung und Interpretation. Dies ist nur eine Art möglicher Bewusstseinsarbeit, nur ein Sachgebiet. Fassen wir Bewusstsein weiter, so gibt es auch die Frage nach unserem Körper und in wieweit wir diesen bewusst wahrnehmen – das Körperbewusstsein.
Im spirituellen Bereich sprechen wir wiederum von der Einheit Körper, Geist und Seele. Im Yoga kann Bewusstsein als dasjenige des Höchsten Selbstes angesehen werden, von dem das menschliche Selbst zeugt. Somit ist der Mensch Teil des Welten-Bewusstseins und kann sich dank Übungen wie dem Singen von Mantras und stiller Meditation dem Zustand der Vervollkommnung annähern.[1]
Wie wir Bewusstsein auch auffassen mögen: Es zeugt in allen Sachgebieten, Geisteswissenschaften, Religionen und anderen Wahrnehmungsweisen von dem erlernbaren und ausbaufähigen Prozess der Achtsamkeit zu sich selbst, zu Handlungen, zu seinem Denken, zu seinen Gefühlen und dem eigenen Körper. Sich immer stärker bewusst-zu-sein bedeutet daher mehr zu sehen, mehr zu entdecken, wacher zu werden und seine eigenen Grenzen der Erkenntnis und Wahrnehmung zu erweitern. Denn sei es, unsere Bewusstseinsarbeit betrifft den Körper oder sei es, sie betrifft die Seele oder den Geist – in jedem Fall hören wir genauer hin, schärfen wir unsere 6 Sinne, vertiefen wir unsere Erfahrungen und eröffnen somit stets unseren derzeitigen Horizont. Dieser kann morgen ganz anders aussehen als heute und eine Stunde später, nach einer gelungenen tiefen Meditation bereits anders als zuvor.
Wie unterstützen Sie Ihr Bewusstsein? Was können Sie tun?
Was können Sie tun, um bewusster zu werden, Ihrem Selbst, Ihrer Geschichte, Ihrem Körper und Gefühlen zugewandt? Gleich, für welchen Weg Sie sich entscheiden, Ihr Bewusstsein zu schulen, so steht am Anfang meist der tiefe Wunsch, etwas im eigenen Leben verändern zu wollen. Meistens ist es die Not, eine Lebenslage, die nicht mehr funktioniert, die uns dazu aufruft, wachsamer zu werden und in den Wandel zu kommen. Welche Techniken Sie dafür aufsuchen, hängt auch mit Ihrem Charakter und mit Ihren Vorlieben zusammen:
Sprechen Sie gerne über sich? => Dann ist es vielleicht die klassische (tiefenpsychologische) Gesprächstherapie oder auch die Psychoanalyse, die Sie für sich entdecken.
Möchten Sie lieber über Ihren Körper einen stärkeren Bezug zu sich selbst finden? => Dann sind es vielleicht die Techniken der Kinesiologie oder Osteopathie, die Sie ansprechen.
Möchten Sie gerne Ihren spirituellen Zugang schulen und Einblick in Ihr Höheres Selbst nehmen? => Dann kommen schamanische Techniken in Frage, Meditationen, Rückführungen, Seelenreisen und energetische Arbeiten wie Reiki.
Oder gehören Sie zu denjenigen Menschen, die ihre Aufmerksamkeit und Wahrnehmung unterstützen und somit bewusster werden möchten? => Dann gibt es Kurse zu MBSR, zur Stressreduktion, Zen-Meditation, Yoga oder auch Autogenes Training.
Ich selbst stehe für die Verbindung verschiedener Techniken – begonnen mit der tiefenpsychologischen Gesprächstherapie, hin zu Chakrenarbeiten- und Meditationen, weiter mit schamanischen Reisen wie Krafttierarbeit und Seelenreisen, angereichert mit Satsang, dem miteinander Sitzen, das uns in tranceartige Zustände versetzen kann, um energetisch zu arbeiten, bis hin zu Rückführungen in frühere Leben. Die Verbindung multipler diverser Zugänge zur Seele macht für mich Sinn: Denn einerseits wechseln Ihre Zustände des Bewusstseins und Ihre Phasen bewusster Selbstarbeit, so dass Sie manches Mal das Wort und ein anderes Mal die Meditation benötigen und andererseits halte ich es für sinnvoll, Sie so begleiten zu können, wie Sie es gerade in der jetzigen Form der Öffnung benötigen.[2]
Bewusstes Sein und Authentizität: Erkenne Dich selbst!
In Europa leben wir heutzutage in einem Jahrhundert, in dem Sie die verschiedensten Möglichkeiten nutzen können, um Ihre Bewusstseinsarbeit voran zu bringen. Das bewusstere Leben lohnt sich für Sie in jedem Fall: Bewusstseinserweiterung und Bewusstseinsförderung bringen Sie dem authentischen Sein ein Stück näher. Authentizität ist ebenfalls eine Eigenart, die in Europa heutzutage in aller Munde ist, denn es geht um das Gegenteil von Schein, nämlich um Ihr wahrhaftiges Sein. Dass dies nicht immer bequem ist, sei vorweggenommen.
Der authentische Mensch kommt auf seiner Reise zu sich Selbst immer stärker ins Selbstbewusstsein, erlangt mehr und mehr Vertrauen in seine Gefühle, in sein Denken und in seine Handlungen.
Er ist demnach weniger manipulierbar, es sei denn, er möchte sich für Geld, Ego und Macht gerne anpassen … Die Fremdbestimmung mag der authentische Mensch nicht besonders, denn sie ist das Gegenteil der Selbstbestimmung. Sie ahnen es? Im Alltag der Arbeitsroutine kann ein wachsendes Bewusstsein durchaus hinderlich sein, wenn Sie weniger ausführen und wiederholen anstatt dessen stärker originär und kreativ arbeiten und leben möchten!
Erkenne Dich selbst! Dieser Aufruf, vieler Jahrhunderte vor Christi Geburt, erhebt Sie in den Zustand eines erweiterten Bewusstseins: Sie erkennen Ihre Grenzen und lernen sie zu akzeptieren. Andererseits erweitern Sie Ihre Grenzen im Alltag und werden mutiger. Sie streben zu einem Zustand der Selbstverwirklichung und werden somit sensibler für Wahrnehmungen jeglicher Art. Da Sie sich immer besser kennen, wächst idealer Weise auch Ihr Mitgefühl für andere, Ihre Empathie und Liebesbereitschaft. Sie sehen: Der bewusste Mensch ist auf dem Weg, er ist im Wandel begriffen, im Zuhören auf sich und andere und im Schärfen seiner Sinne: Er wird.
Als mir Anna an der Tür zum letzten Mal die Hand gab, da sie mit ihrer psychologischen-spirituellen Therapie fertig war, sagte sie: „Ich hätte nie gedacht, was alles in mir schlummert – weder die Erbschaft meiner Eltern, die ich nun aufgebrochen habe, um frei zu sein noch die Fähigkeiten, die darauf warten, in meinem Leben ihren Platz zu finden. Ich freue mich darauf, dass mein Alltag bunt wird und mein Leben eine Reise!“
Bewusstseinsarbeit ist keine Garantie dafür, dass Ihr Leben einfacher wird; es ist jedoch der einzige Weg, dass sich Ihr Leben innerlich reich, freudvoll und selbst-bestimmt gestalte. Auf ein kreatives, lichtvolles Dasein!
Autor: Clara Welten
Thema: Was ist Bewusstseinsarbeit
Webseite: https://clarawelten.de
Autorenprofil Clara Welten:
Deutsch-Französische Praxis für Psychotherapie und Seelenreisen, Berlin
Therapien, Ausbildung, Seminare, Publikationen
Im März 2019 erscheint ihr neues Buch: „Die Digitalisierung der Kinderstube – oder wie wir miteinander leben anstatt nebeneinander zu existieren.“; édition Welten, Berlin, 2019
[1] Siehe auch zusammenfassend: https://wiki.yoga-vidya.de/Bewusstsein
[2] Ich bin Psycho-spirituelle Seelenbegleiterin und habe als Wegweiser der tiefenpsychologischen und spirituellen Arbeit das Buch geschrieben: „Lebst Du schon oder wiederholst Du noch? Dank Tiefenpsychologie und Seelenreisen Dir selbst begegnen.“, Clara Welten, édition Welten, Berlin, 2016