Sind Sie Aschenputtel oder die schöne Prinzessin? Fühlen Sie sich als Bettler oder als würdevoller Prinz? Wie sehen Sie sich selbst und warum?
Ein Plädoyer dafür, Ihre Werte und vermeintlichen Schwächen zu erkennen, sie schätzen zu lernen und fortan mit einem positiven Selbstbild durch Ihr Leben zu gehen.
Das positive Selbstbild ist eine echte Rarität. Wer es sich erarbeitet hat (ja, erarbeitet, denn es fliegt einem nicht zu!) kann sich glücklich schätzen. Viele Menschen suchen ihr ganzes Leben danach und finden nur schwerlich einen Weg, sich selbst anzunehmen und zu schätzen.
Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Sie müssen sich nur trauen, Ihr wahres Selbst kennenzulernen und sich mit ihm zu arrangieren. Das Selbst ist schon immer da, Sie haben es nur leider im Laufe Ihres Lebens aus dem Auge verloren, denn geprägt wurden Sie und Ihr Bild über sich selbst von anderen Menschen. Ob dieses - oft kritikvolle -Bild wirklich richtig ist, haben Sie vermutlich noch nie in Frage gestellt.
Die Entstehung des Selbstbildes
Stellen Sie sich vor, dass Sie, als Sie vor Jahren geboren wurden, ein Wesen mit unzähligen Möglichkeiten und unzähligen Eigenarten waren. Die waren einfach so in Ihnen. Und während Sie erzogen und sozialisiert wurden, haben Sie diese Persönlichkeitsteile alle, einen nach dem anderen, Ihrer Umgebung vorgeführt. Sie waren leise und laut, Sie haben gebastelt und zerstört, Sie waren wütend und geduldig, Sie waren ehrlich und haben gelogen, Sie waren egoistisch und selbstlos, Sie haben den Wunsch nach Einsamkeit und Geselligkeit ausprobiert. Und auf jeden einzelnen dieser Versuche haben Sie von Ihrer Umwelt eine Reaktion erhalten. Waren Sie laut, war das vielleicht unerwünscht und man hat mit Ihnen geschimpft. Wollten Sie im Mittelpunkt stehen, wurden Sie womöglich zurechtgewiesen und als egozentrisch bezeichnet, wollten Sie den Kuchen für sich, wurden Sie mit bösem Blick zum Teilen aufgefordert. Und wenn Sie albern waren, wurden Sie zum Ernst des Lebens ermahnt. Müßiggang führte zum Ansporn, da ja mal was aus Ihnen werden sollte.
Sie konnten aber damals als Kind noch nicht die wohl gemeinte Absicht derjenigen, die da regelmässig durch ihre Reaktionen über Sie bzw. Ihre Persönlichkeitsanteile geurteilt haben, erkennen. Sie haben nur gefühlt, dass z.B. Lautsein, Aufmerksamkeitswunsch, Egoismus, Freude, Müßiggang und viele andere vorgeführte Eigenarten zu einer für Sie unangenehme Reaktion geführt haben. Und diese Reaktion wollten sie selbstverständlich nicht. Also haben Sie blitzschnell daraus geschlossen, dass diese Eigenarten ja schlecht sein müssen und sie diese besser künftig verstecken, da dann mit positiveren Reaktionen zu rechnen ist.
Die Licht und Schatten-Theorie
Das wiederum führte dann dazu, dass Sie fortan das Gefühl hatten und vermutlich noch immer haben, ein großer Anteil von Ihnen sei irgendwie nicht so richtig und nicht vorteilhaft. Diese Persönlichkeitsanteile werden von Ihnen im sogenannten psychologischen „Schatten“ verwahrt, am liebsten wären Sie sie ganz los.
Die wenigen anderen Teile wiederum, die von Ihrer Aussenwelt als gut bestätigt wurden und zu Lob geführt haben (z.B. Fleiss, Ordnung, Selbstlosigkeit; Gehorsam), haben Sie selbst dann ebenfalls als vorteilhaft einsortiert und diese Teile leben Sie intensiv. Manchmal so intensiv, dass Sie burn-out-Symptome an sich erkennen können. Die Teile, die dauernd im (Rampen)-licht stehen, sind irgendwann müde und erschöpft.
Diese Zweiteilung in Licht und Schatten führt dazu, dass Sie mit Ihrem Selbstbild nur „auf einem Bein“ stehen. Das ist eine wackelige Angelegenheit und Sie mühen sich stetig, den Schatten gegenüber anderen zu verstecken und hoffen, dass der Licht-Teil in der Öffentlichkeit hinreichend Anerkennung finden kann, um die Unsicherheiten des Schattens wieder wett zu machen. Das ist sehr anstregend und oft bleibt so ein inneres Unwohlsein, das Gefühl nicht richtig und vor allem nicht wirklich man selbst zu sein. Es fehlt die Authentizität und somit erschwert ein unrefektiertes, negativ dominiertes Selbstbild auch ehrliche, tiefe Beziehungen zu anderen Menschen.
Ihrer Psyche gefällt diese Zweiteilung überhaupt nicht. Sie strebt nach Ausgleich. Und wenn man nicht auf die leisen Signale hört, dann führt sie den Ausgleich notfalls mit Gewalt herbei: Die Schattenteile zeigen sich z.B. in Form von psychosomatischen Erkrankungen (z.B. kann der Immer-Eifrige in einer Migränephase endlich mal mit gutem Gewissen zur Ruhe kommen). Oder es baut sich ein innerer Druck wie in einem Dampfkessel auf (Bluthochdruck!), weil die vielen ungelebten Anteile auf Situationen reagieren, aber von Ihnen so gar nicht ins Licht gelassen werden.
Wenn Sie Menschen treffen, die genau das leben, was Sie in den Schatten verschoben haben, reagieren Sie möglicherweise gereizt oder verärgert und verurteilen sie. Das müssen Sie, um Ihre innere Ruhe wieder herzustellen, denn Sie verurteilen diese Anteile ja in Ihnen selbst ebenfalls und dann darf es einfach nicht sein, dass andere diese Anteile unverblümt und ohne schlechtes Gewissen leben. Doch Selbstverurteilung führt gesichert nicht zu einem positiven Selbstbild. Und Verurteilung anderer Menschen macht ein erfülltes Beziehungsleben unerreichbar.
Ohne positives Selbstbild ist das Leben hart. Sie hadern mit sich, verurteilen sich für Verhaltensweisen oder Dinge, die Sie nicht geschafft haben, konzentrieren sich auf Ihre vermeintlichen Defizite. Sie sind unsicher, werden zum Opfer anderer, nichts will richtig klappen und Sie fühlen sich unwohl, unverstanden und auch oft ungeliebt.
Vom Geheimnis des Gewürzschrankes zum positiven Selbstbild
Aber wie löst man diese Problematik? Nun, erstmal ist festzuhalten, dass gar kein einziger Anteil, den Sie als Kind in sich hatten, wirklich schlecht ist. Jede Eigenart hat ihre Berechtigung und vor keiner muss man sich fürchten. Es ist alles eine Frage der Dosierung und der richtigen Anwendung. Wie bei einem Gewürz.
Haben Sie einen gut gefüllten Gewürzschrank zu Hause? Dann kennen Sie vermutlich jedes der darin enthaltenen Gewürze, kennen seinen Geschmack, wissen, welche Gerichte damit gut zur Geltung kommen, wie man sie kombinieren kann, wieviel man davon verwendet. Nicht jedes Gewürz verwendet man jeden Tag, doch im Laufe eines Jahren werden sie doch alle mal verwendet.
Was genau tun Sie da, wenn Sie die Zutaten aus dem Gewürzschrank auswählen und mischen?
Sie kennen das gewünschte Ergebnis und mixen – da Sie die Eigenarten der jeweiligen Zutat kennen – zielstrebig mit dem vorhandenen Material, experimentieren, tauschen aus und am Ende ist es so, dass es passt.
Und genau das ist der Weg, zu einem positivieren Selbstbild:
Sie müssen sich kennenlernen. Jedes Gewürz (jede Eigenart) muss Ihnen vertraut werden. Sie müssen vorurteilsfrei herausfinden, wozu sie gut ist und wo sie eher unpassend ist. Sie müssen wissen, was Sie damit erreichen können und was es anrichten kann, zuviel davon zu verwenden.
Jede Eigenart ist es wert, kennengelernt zu werden und eben auch geschätzt zu werden. So wie Sie das Spekulatiusgewürz vermutlich nur einmal im Jahr benutzen, es aber nicht missen möchten, weil dem Weihnachtsgebäck ohne diese Zutat etwas wichtiges fehlen würde, so können auch einige Eigenarten selten Verwendung finden, weil z.B. laute Wut nur in wenigen Situation wirklich zielführend einzusetzen ist. Aber dennoch ist es gut, dass Sie diese Eigenart haben, es kann hilfreich sein, wenn Sie sich ernstzunehmend bedroht fühlen. Und dann sind Sie froh, dass sie diese Eigenart haben und sich damit helfen können. Müßten Sie sie in einer Bedrohungssituation aber erst tief im Schatten nach einer passenden Eigentart suchen, ist es vermutlich zu spät. Aus diesem Grund ist es wichtig, alle, wirklich alle Teile, die Sie in sich haben, neu anzusehen, sie genau kennenzulernen, zu überlegen, wozu sie gut sind und wobei sie eher hinderlich sind und dann eine gute Verwendung für sie zu finden. Dabei ist es nötig, dass Sie keinen Teil „weghaben“ wollen (Therapie macht übrigens auch nicht „weg“, sondern integriert!). Natürlich haben Sie Züge und Neigungen in sich, die Sie selbst nicht allzu sehr mögen. Doch erstens werden auch die bei genauerem Hinsehen noch eine gute Seite haben und zweitens können sie diesen Teil Ihres Selbst doch zumindest dulden und ihm eine Chance geben, eines Tages auch mal einen für Sie hilfreichen „Auftritt“ auf der „Bühne Ihres Selbst zu haben.
Zusammenfassung
Um das von Ihnen gewünschte Ergebnis eines positiven Selbstbildes zu erhalten ist es somit also nötig:
- zunächst mal alle Eigenarten und Anteile der eigenen Person vorbehaltslos und furchlos kennen zu lernen
- die Eigenarten eigenmächtig und nach eigen Meinung zu bewerten und somit mit alten von fremden getätigten Bewertungen aufzuräumen. Nicht selten entdecken Sie hier sagenhaftes Potential für Freude und wissen irgendwann endlich, wer Sie eigentlich sind!
- jeder Eigenart – wie ein Regisseur – einen angemessenen Anteil an Auftritten zur rechten Situation in Ihrem Leben zu ermöglichen. Das macht ausgeglichen, verhindert panische oder amokartige Reaktionen und macht Angst, wie man sich möglicherweise verhalten könnte, überflüssig.
- sich selbst gegenüber nachsichtig zu sein. „nobody is perfect“ und das ist auch gut so. Wenn Sie immer nur an sich ´rumoptimieren und kritisieren, machen andere Menschen es Ihnen nach. Dadurch wird Ihr Selbstbild nicht besser. Seien Sie stattdessen doch mal ein bißchen nett zu sich. So wie Sie einem guten Freund seine Macken nachsehen, dürften Sie auch bei sich selbst mal milde darüber hinwegsehen.
Sie sind die einzige Person, mit der Sie Ihr gesamtes Leben verbringen
Fakt ist, dass Sie Ihr gesamtes künftiges Leben mit sich selbst verbringen werden. Das ist länger als mit jedem anderen Menschen. Und da wäre es doch mehr als angemessen, wenn Sie sich selbst die Chance geben würde, das Bild, das Sie von sich haben, nochmal neu zu überarbeiten. Sie sind der einzige Mensch, der immer bei Ihnen ist, der Sie immer erträgt, Ihnen immer Mut machen kann und mit Ihnen durch dick und dünn geht– da haben Sie doch eigentlich etwas Nachsicht und auch Dankbarkeit verdient, oder?
Trauen Sie sich. Von selbst kommt das nicht vom Himmel gefallen, das gute positive Selbstbild. Aber mit Reflexionsarbeit kann es sich schnell entwicklen. Wenn Sie erst mal – vielleicht mit fachlicher Anleitung – damit begonnen haben, dann werden Sie feststellen, dass der Weg zu sich selbst ein höchst aufregendes und freudvolles Abenteuer ist.
Autor: Nathalie Berude-Scott (Heilpraktikerin für Psychotherapie)
Thema: Positives Selbstbild
Webseite: https://www.selbst-auskunft.com
Autorenprofil Nathalie Berude-Scott (Heilpraktikerin für Psychotherapie):
Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis in Essen, NRW, tätig. Als Entwicklerin der Workshopreihe „Weg zu sich SELBST“ ist sie in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen tätig und kann als Referentin gebucht werden. Weiterhin ist sie Autorin des in 2016 erschienenen Buches: Betriebsgeheimnis Kind.