Warum werde ich gefragt, was ich beruflich mache und nicht, ob ich glücklich bin?
Das kennen wir doch alle, wir lernen neue Leute auf einer Party kennen, und am liebsten würden die nach Wohnung, Auto und letztem Urlaub als Statussymbole fragen, das interessiert. Aber ob ich glücklich bin, was mir als letztes echte Freude bereitet hat oder wofür ich wirklich brenne, das interessiert niemanden.
Auf dem Elternabend muss ich dann am besten vorher nochmal schnell zum Friseur, damit niemand auf die Idee kommen könnte, ich könnte gestresst sein. Das darf ich mir bei der Arbeit natürlich auch nicht anmerken lassen, die Periode, der Streit um den Haushalt oder einfach Unzufriedenheit darf auf keinen Fall jemand bemerken. Wichtig ist, was ich beruflich leiste, wichtig ist, dass ich erfolgreich bin. Ein sauberer Haushalt, gut erzogene Kinder, sportlich durchtrainiert und eine funktionierende Ehe, natürlich erfolgreich im Job und am besten nebenher noch ehrenamtlich arbeiten. Das wird erwartet. Und das ist es eben auch, was wir nach außen hin zeigen wollen. Doch ist das wirklich wichtig? Ständig höre ich in den Medien und lese auf Social Media, es sei okay, mal nicht okay zu sein. Wir müssten nicht immer funktionieren und können unsere Schwächen auch zeigen. Aber mach das mal.
Sag mal auf dem Elternabend, gestern musstest du dich echt beherrschen, dein Kind nicht an die Wand zu klatschen, als es deinen nagelneuen Laptop runtergeschmissen hat. Gib mal auf einer Party zu, dass du gerade mega Unterleibsschmerzen wegen deiner Periode und heute eigentlich keine Lust auf Smalltalk hast. Gib als Lehrer vor deinen Schülern mal zu, dass du gerade wirklich Streit mit deinem Ehemann hast und mit den Gedanken eigentlich ganz woanders bist. Überall wird propagiert, es wäre okay, aber das ist es nicht. Wir alle spielen tagtäglich eine Rolle und scheinbar müssten wir das auch. Dass wir genau daran und an den Erwartungen anderer an uns kaputt gehen, spielt da eigentlich keine Rolle.
Nur was wir für uns gerne hätten, müssten wir auch anderen zugestehen. Wir müssten der Klassenlehrerin unseres Sohnes nachsehen, dass sie die Klassenarbeiten eben noch nicht durchgeschaut hat, weil ihre eigene Tochter gerade schweren Brechdurchfall hat. Wir dürfen nicht sauer sein, wenn die Nageldesignerin den Termin kurzfristig absagt, weil sie einfach mal was für sich tun muss. Es ist so leicht, von selfcare zu reden, aber es anderen zuzugestehen, gehört eben auch dazu. Und bis wir dann tatsächlich auf dem Elternabend einfach mal zu heulen anfangen können, weil wir eben doch auch mal mit einem pubertärenden Kind, einem Mann in der Midlife Crisis und einem Welpen überfordert sind, das dauert wohl noch.
Autor: Anke Wachtendorf - Schülercoach, Lern- und Erziehungsberatung, Verlagsautorin
Thema: Statussymbole versus Wohlbefinden
Webseite: http://www.schuelercoaching-wachtendorf.de
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